„Das ist der Gedanke der Unteilbarkeit der Menschenrechte.“
Christian Mihr
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Christian Mihr von „Reporter ohne Grenzen“ über Pressefreiheit, Hilfe für bedrohte Journalisten und seine Beziehungen in die Politik
Von den ersten Berichterstattungen vom örtlichen Kleingartenverein über Tätigkeiten als Auslandskorrespondent in Südamerika und Journalismusdozent in Russland bis zum Geschäftsführer bei Reporter ohne Grenzen hat Christian Mihr schon viel von der Welt (der Presse) gesehen. Michaels Gast in dieser Folge des MachtWas!?!-Podcasts leitet seit 2012 die deutsche Sparte der weltbekannten NGO.
Christian Mihr spricht im Podcast über das Menschenrecht der Pressefreiheit, persönliche Anfeindungen und darüber, warum Reporter ohne Grenzen bereits Mexiko vor den Internationalen Strafgerichtshof, die Türkei vor den Europäischen Gerichtshof und Deutschland vor das Bundesverfassungsgericht gebracht hat. Außerdem erfahrt Ihr, warum Christian Mihr gemeinsam mit dem NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg (auf Dollar-Noten reitend) in einer bulgarischen Zeitung abgebildet wurde.
Lobbyismus für Menschenrechte
Aus Solidarität mit getöteten französischen JournalistInnen wurde Reporter ohne Grenzen (Reporters sans frontières) ursprünglich in Frankreich gegründet. Heute ist die Menschenrechtsorganisation auf der ganzen Welt vertreten und setzt sich für das Recht auf Pressefreiheit ein. Christian Mihr spricht im Podcast darüber, wie genau diese Arbeit aussieht.
So sei die Öffentlichkeitsarbeit ein wichtiger Bereich, um darauf aufmerksam zu machen, wo Defizite in der Pressefreiheit herrschen. Weiterhin mache man klassische Lobbyarbeit im deutschen Bundestag, um Politikerinnen und Politiker auf aktuelle Missstände aufmerksam zu machen und zu sensibilisieren.
„Das ist der Gedanke der Unteilbarkeit der Menschenrechte.“
Christian Mihr
Zudem stellt Reporter ohne Grenzen schnelle praktische Hilfe zur Verfügung. Christian Mihr erzählt im Podcast, wie seine Organisation den Familien von inhaftierten Journalistinnen zur Seite steht, Haftkautionen und Gerichtskosten begleicht und in seltenen Fällen Journalisten auch zur Flucht verhilft.
Zu links, zu rechts, zu mainstream
Christian Mihr erklärt, warum Reporter ohne Grenzen überparteilich, aber nicht beliebig ist. So habe man zwar von der CSU bis zur Linken gute Kontakte in alle deutschen Parteien, bisher aber nicht zur AfD. Trotzdem würde Reporter ohne Grenzen aus unterschiedlichen Verschwörungskreisen gerne vorgeworfen, man sei eine kommunistische Organisation oder, falls das nicht stimme, von der CIA gelenkt.
„Wir sind parteiisch für das Menschenrecht auf Pressefreiheit. […] Aber mit links und rechts, das ist für uns wirklich egal.“
Christian Mihr
Reporter ohne Grenzen bewertet nicht den Inhalt oder die Qualität von journalistischen Beiträgen, sondern setzt sich dafür ein, dass die Pressefreiheit generell erhalten bleibt. Das spiegelt sich für Nationen am Ende in der Rangliste der Pressefreiheit wider, in der Deutschland momentan auf Platz 11 von 180 steht.
Genießt jeder mit einem Instagram-Account den Schutz der NGO?
Michael möchte wissen, ob nur der klassische Journalismus unterstützt wird oder ob bei den ROG auch Online-Journalismus Beachtung findet. Daraufhin erklärt Christian Mihr, wie jeder Fall einzeln und unabhängig vom genutzten Medium geprüft wird. Dabei unterstreicht er die Wichtigkeit des Internets. Ohne Blogposts, Social-Media-Beiträge und Bürgerjournalistinnen können viele Informationen aus Ländern wie Bahrain oder Saudi-Arabien gar nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Insbesondere in Syrien gäbe es ohne Videojournalisten vor Ort kaum direkte Informationen über den Bürgerkrieg oder die Vorgehensweise des IS.
Die großen Tech-Unternehmen sind für viele Menschen essenziell, wenn es darum geht Informationen zu erhalten. Deshalb betreibt Reporter ohne Grenzen auch ein eigenes Büro im Silicon Valley und kommuniziert direkt mit Facebook & Co.. Christian Mihr erläutert, wie in Ägypten oder Vietnam Webseiten von kritischen Zeitungen einfach gesperrt werden. Wie versorgen deren Redaktionen die Bevölkerung über Facebook trotzdem mit kritischem Journalismus?.
Da gibt es beispielsweise die Geschichte eines vietnamesischen Exil-Journalisten, der in Berlin lebt und die Informationsplattform Thời Báo leitet. Welche Rolle spielt hier der vietnamesischen Geheimdienst und wie konnten die ROG mit ihrem direkten Draht zu Facebook helfen?
Warum lt. Christian Mihr Öffentlichkeitsarbeit nicht in jeder Öffentlichkeit sinnvoll ist
Vielleicht muss mancher Benin erstmal in eine Suchmaschine eingeben, um zu erfahren, wo dieses Land überhaupt liegt. Christian Mihr erzählt mit Bezug auf Benin, warum Reporter ohne Grenzen nicht jede Aktivität und jeden Bericht in jeder Sprache veröffentlicht. Warum ist Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland manchmal wirkungslos, konkrete politische Arbeit aber sehr wirkungsvoll?
„Man redet eher mit uns, weil wir auch eine Organisation sind, die öffentlichen Druck aufbauen kann. Und das nicht nur in der deutschen Öffentlichkeit.“
Christian Mihr
Wenn in Aserbaidschan eine Gruppenspielrunde zur Fußball- Europameisterschaft stattfindet, sei die gesteigerte öffentliche Aufmerksamkeit eine gute Gelegenheit, um auf die schlechte Lage von Journalisten in diesem Land aufmerksam zu machen. Und auch der Besuch Erdogans in Berlin sei ein willkommener Anlass gewesen, um Politikerinnen für die Verfolgung der Presse in der Türkei zu sensibilisieren. „Dass Bundespräsident Steinmeier eine von uns verfasste Liste von Journalistinnen und Journalisten an Erdogan überreicht hat, wo er gesagt hat: ‚Die gehören in Freiheit.‘“, ist für Christian Mihr ein Zeichen für den Erfolg der Arbeit von Reporter ohne Grenzen.
Finanzen, Erholungsstipendien und Erfolgsquoten
Christian Mihr verrät auch, wie Reporter ohne Grenzen aufgebaut ist und welche öffentlichen Gelder zusätzlich zu Einzelspenden die NGO finanzieren. Einzelspenden sind manchmal zweckgebunden und Gelder des Berliner Senats werden beispielsweise für Stipendien bedrohter Journalistinnen aus Südamerika eingesetzt. Diese besuchen mehrmonatige Workshops in Berlin, um durchzuatmen und sich weiterzubilden.
Zum Schluss möchte Michael wie immer wissen, welche Frage Christian Mihr am häufigsten gestellt wird. Welche Frage das ist und ob bei der Spendenbereitschaft deutscher Medienhäuser noch etwas Luft nach oben ist, welche strukturellen Probleme es auch in Deutschland gibt und wie Gewalt gegenüber JournalistInnen mit dem Aufkommen von Pegida zugenommen hat, erfahrt ihr in dieser Folge des MachtWas!?!-Podcasts.
Zitate:
11:30 „Wir sind parteiisch für das Menschenrecht auf Pressefreiheit. […] Aber mit links und rechts, das ist für uns wirklich egal.“
16:10 „Hauptberuflichkeit ist für uns kein Kriterium.“
19:00 „Manche Themen regen in Deutschland überhaupt nicht auf. Eine Pressemitteilung zur Mongolei interessiert hier niemanden. Aber im post-sowjetischen Raum natürlich schon, wenn wir die auf Russisch veröffentlichen.“
29:10 „Dass Bundespräsident Steinmeier eine von uns verfasste Liste von Journalistinnen und Journalisten an Erdogan überreicht hat, wo er gesagt hat: ‚Die gehören in Freiheit.‘“
30:20 „Ich würde sagen, dass wir in allen Parteien Verbündete haben, die bereit sind auf Auslandsreisen bestimmte Themen anzusprechen. Aber – ein großes aber – es ist einfacher sich für Anliegen im Ausland einzusetzen als für Anliegen in Deutschland.“
31:20 „Das heißt, ich kehre vor meiner deutschen Haustür, aber ich kehre auch vor deiner mazedonischen Haustür. Das ist der Gedanke der Unteilbarkeit der Menschenrechte.“
52:00 „Man redet eher mit uns, weil wir auch eine Organisation sind, die öffentlichen Druck aufbauen kann. Und das nicht nur in der deutschen Öffentlichkeit.“