„Ich finde es immer falsch aus Angst vor dem Tod Selbstmord zu begehen.“
Jürgen Trittin
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Grünen Politiker Jürgen Trittin über Kompromissfähigkeit, das Verständnis von Demokratie und die Verhältnisse in den USA und Großbritannien
In dieser Folge vom MachtWas!?!-Podcast spricht Michael mit Jürgen Trittin, dem ehemaligen Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Der ehemalige Fraktionsvorsitzende der Grünen spricht über seine persönlichen Beziehungen zu den USA und seine Auflehnung gegen die eigene Partei. Außerdem erläutert er, warum es der AfD nicht gelungen ist, die deutsche Gesellschaft zu spalten und wie es ist, wenn man mit „echten“ Norddeutschen Politik macht.
Was unterscheidet Berufspolitiker und Unternehmenslenker?
Auch wenn in allen Unternehmen heutzutage von flachen Hierarchien gesprochen wird, trifft am Ende zumeist eine Person oder ein Gremium die Entscheidung.
„Kompromiss ist kein Schimpfwort und hat auch nichts mit Verrat zu tun…“
Jürgen Trittin
Jürgen Trittin erklärt im Podcast, warum das in der Politik komplett anders ist und wie anstrengend aber nötig der zu findende Konsens ist: „Kompromiss ist kein Schimpfwort und hat auch nichts mit Verrat zu tun: So funktionieren Gesellschaften, die einen zivilen Interessensausgleich pflegen.“ Die Politikerinnen, die aus der freien Wirtschaft in den Parlamentsbetrieb wechseln, müssten sich daran erst einmal gewöhnen.
Der ehemalige Bundesminister erläutert, was seiner Meinung nach passiert, wenn extrem widersprüchliche Meinungen in Parlamenten in Parlamenten aufeinandertreffen. „Das konnte man beim Brexit sehen. Zuerst haben sie alle über die Polen hergezogen und jetzt haben sie das Problem, dass sie nicht genug Handwerker oder Pflegerinnen in den Kliniken haben.“
Ist Demokratie eben nicht allein die Entscheidung der Mehrheit?
Jürgen Trittin spricht über seine Jugendzeit in Bremen, die von Piratensendern und Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg geprägt war. Auch heute kritisiert der Grünen-Politiker die USA. Dort gäbe es den zivilen Interessenausgleich in Form von Kompromissen nicht mehr. Michael und Jürgen Trittin sprechen darüber, ob Deutschland auf dem Weg in ähnliche Verhältnisse ist.
Die bisherigen Spaltungsversuche seien in Deutschland nicht erfolgreich gewesen. Dennoch blickt Jürgen Trittin mit Sorge auf Nachbarländer wie Polen und Ungarn:
„Dort wird sozusagen die Substanz der Demokratie – und das ist die Gewaltenteilung, das sind die Minderheitenrechte – massiv abgebaut. Immer unter Berufung auf eine Mehrheit.“
Jürgen Trittin
Nach Kohl: Die Norddeutschen von SPD und Grüne im Bundestag
1998 bis 2005 waren die Grünen zum ersten und bisher letzten Mal Teil der Bundesregierung. Jürgen Trittin spricht im Podcast darüber, wie es war, die CDU und Helmut Kohl abzulösen.
„Da besuchte er [Helmut Kohl] die obligatorische Hannovermesse und traf dort auf den Ministerpräsidenten Gerhard Schröder und seinen Europaminister Jürgen Trittin und so wie es seine Art war, zeigt er beim Mittagessen auf uns beide und sagt: ‚Ihr werdet mich mal ablösen!'“
Jürgen Trittin
Außerdem geht es um das persönliche Verhältnis zu Gerhard Schröder, mit den Jürgen Trittin bereits aus Niedersachsen kannte. Gegen wen hat sich Gerhard Schröders „Basta! Politik“ hauptsächlich gerichtet? Und warum hat der damalige amerikanische Präsident Bill Clinton bereits vor der Wahl bei der möglichen rot-grünen Koalition angerufen?
Wie das Einwegpfand nach Deutschland kam
Jürgen Trittin erklärt im Podcast, wie das Dosen- und Einwegpfand nach Deutschland kam und was hat mit Angela Merkel zu tun hat. Außerdem geht er darauf ein, wie man das Einwegpfand schließlich vor Gericht gegen Großbrauereien und andere Interessengruppen durchgesetzt hat.
„Da hat es 200 Gerichtsverfahren zu gegeben, die haben wir alle krachend gewonnen.“
Jürgen Trittin
Und sonst so Jürgen Trittin?
„Ich glaube Eitelkeit ist jemandem, der Politik macht, nicht völlig fremd.“. Jürgen Trittin spricht mit Michael über die Egos von Politikern, darüber wie auch Angela Merkel von den Stimmen der Grünen profitiert und das Scheitern der Jamaika-Koalition 2017.
Zum Schluss macht Jürgen Trittin klar, dass es keine schlechte Frage gebe und es ihn nicht nerve Fragen zu beantworten; das sei schließlich seine Aufgabe als Politiker.
Zitate:
00:03:20 „Und ich war nicht ganz unbeteiligt daran, dass Deutschland aus der Atomenergie ausgestiegen und in die erneuerbaren Energien eingestiegen ist, also das was man gemeinhin ‚die Energiewende‘ nennt.“
00:04:23 „Wenn das Hobby Politik zu machen zum Beruf wird, dann ist man Berufspolitiker.“ 00:06:53 „Politik in der parlamentarischen Demokratie beruht darauf, dass permanent Mehrheiten, ja Konsense gesucht werden müssen. Und, dass deswegen permanent Interessenausgleiche organisiert werden müssen.“
00:09:33 „Das konnte man beim Brexit sehen. Zuerst haben sie alle über die Polen hergezogen und jetzt haben sie das Problem, dass sie nicht genug Handwerker oder Pflegerinnen in den Kliniken haben.“ 00:10:28 „Kompromiss ist kein Schimpfwort und hat auch nichts mit Verrat zu tun: So funktionieren Gesellschaften, die einen zivilen Interessensausgleich pflegen.“
00:13:58 „Die klare Haltung zu solchen Kräften hat mit dazu beigetragen, dass die Zustimmung für gesellschaftliche Spaltung in diesem Lande eher gesunken ist.“ 00:14:57 „Dort wird sozusagen die Substanz der Demokratie – und das ist die Gewaltenteilung, das sind die Minderheitenrechte – massiv abgebaut. Immer unter Berufung auf eine Mehrheit.“
00:16:38 „Eine Zeitlang hat die CSU mit AfD-Argumenten die Kanzlerin kritisiert. Mit dem Ergebnis, dass die Umfragewerte vor der Wahl in Bayern immer schlechter wurden. Und dann hat der Söder, ob aus Überzeugung und Stimmmaximierung, umgelenkt.“
00:20:23 „Da besuchte er [Helmut Kohl] die obligatorische Hannovermesse und traf dort auf den Ministerpräsidenten Gerhard Schröder und seinen Europaminister Jürgen Trittin und so wie es seine Art war, zeigt er beim Mittagessen auf uns beide und sagt: ‚Ihr werdet mich mal ablösen!'“ 00:25:13 „Die berühmte Bastardpolitik von Gerhard Schröder war eher eine Veranstaltung, die auf Konflikten insbesondere innerhalb der SPD beruhte.“
00:27:03 „Ich finde es immer falsch, aus Angst vor dem Tod Selbstmord zu begehen.“ 00:28:23 „Deswegen mussten Gerhard Schröder, Joschka und ich, die alle schon Erfahrung auf Landesebene hatten, auf der Bundesebene ein halbes Jahr richtig dazulernen.“
00:30:53 „Da hat es 200 Gerichtsverfahren zu gegeben, die haben wir alle krachend gewonnen.“ 00:34:03 „So waren wir da immer im Bündnis mit den kleinen bayerischen Familienbrauereien gegen die großen Brauereien.“ 00:35:18 „Ich glaube Eitelkeit ist jemandem, der Politik macht, nicht völlig fremd.“ 00:40:53 „Sie müssen den Laden zusammenhalten und eine Richtung vorgeben.“ 00:41:23 „Das wichtigste ist nicht, was jemand sagt. Das wichtigste ist, wer das sagt und ob der dafür zuständig ist.“
00:42:13 „Wenn sie bei einer grünen Fraktion scheitern wollen, dann müssen sie sagen: ‚Ihr müsst jetzt das und das machen.‘, dann sind die von Natur aus dagegen.“ 00:46:43 „‚Das Parlament kontrolliert die Regierung.‘ Das stimmt nicht.“ 00:47:43 „Man kann nicht sagen, dass die SPD in der großen Koalition erfolglos gewesen ist.“