„Man merkt wirklich, dass da ganz geübte PR-Agenturen dahinterstecken. Und zwar mehr und mehr. [Um] Journalismus abzuhalten von den Realitäten und dafür aber Pseudorealitäten zu kreieren.“
Antonia Rados
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Antonia Rados über Journalismus, Politik, Sexismus und Berichterstattung aus Kriegsgebieten
Antonia Rados ist im MachtWas!?!-Podcast zu Gast. Die mehrfach ausgezeichnete Reporterin berichtet aus Krisengebieten von dem, was sie dort erlebt: „Reporterin. […] Jeder weiß, was das ist. Ich würde das aber umschreiben – so habe ich immer mein Berufsbild verstanden – als Augenzeugin. Und das ist, glaube ich, heute besonders wichtig.“
Im Podcast geht es um frische Hemden und Strukturen, die an Heimat erinnern und um die Hilflosigkeit, die Überhand nehmen kann, wenn man in einem Krisengebiet unterwegs ist. Antonia Rados veranschaulicht die Lebensrealität sowie Grausamkeit und Gastfreundschaft, die sie im Jemen, Afghanistan und anderen Ländern erlebt hat. Daneben bleiben Themen wie Sexismus im Journalismus, die Verschwisterung von Kolleginnen konkurrierender Medien in Krisengebieten und sich verändernde Kriegsführung nicht unerwähnt. Vom Begriff des Kriegsreporters hält Antonia Rados übrigens nichts: „Ich glaube nicht, dass es so etwas wie eine Kriegsreporterin gibt. Kriegsreportagen sind für mich die Fortsetzung von politischen Reportagen. Überall findet Politik statt, auch im Krieg.“
Um eine Chance in Washington zu haben, müssten Frauen erstmal nach Afghanistan
Antonia Rados erklärt im Podcast, wie ihr Blick auf die Welt sie dazu gebracht hat Reporterin zu werden. Die Berichterstattung von einem Krieg vor Ort sei nicht dasselbe wie Berichterstattung über Hochwasser in Deutschland oder die Präsidentschaftswahl in den USA. Sie erläutert, warum man die Reise in ein Krisengebiet nur bis zu einem gewissen Grad planen könne. Vor Ort sei ohnehin vieles anders als gedacht: Manchmal schlimmer, manchmal besser.
Michael möchte wissen, warum es Antonia Rados so unmittelbar in außergewöhnlich gefährliche Gebiete gezogen hat. Antonia Rados macht klar, dass das auch etwas damit zu tun hat, dass sie eine Frau ist. Für sie sei es nicht einfach gewesen einen Job beim Fernsehen zu bekommen. Allerdings wollte niemand in den Iran oder nach Afghanistan. Dieser vorherrschende Sexismus und die Chancenungleichheit haben dazu geführt, dass sie nach Kabul ging. Allerdings nur mit dem Ziel irgendwann Auslandskorrespondentin in Washington zu werden: „Eine Frau muss sehr, sehr viel arbeiten, um eben diese Seilschaften [der Männer] wettzumachen.“
„Das [Korrespondentin in Washington] war ein Traumjob, der damals – also ich hab’s jedenfalls nicht geschafft, andere Frauen auch nicht – sehr stark männerbesetzt war.“
Antonia Rados
Über die Arbeit und Begegnungen im Jemen, Afghanistan und Libyen
Für ihre journalistische Arbeit hat ihr Geschlecht aber auch einen Vorteil. Antonia Rados erklärt, dass sie als Frau deutlicher einfacher den Kontakt zu Frauen vor Ort herstellen konnte. Frauen, die für die Finanzen und die Kinder verantwortlich sind, hätten häufig ganz andere Geschichten zu erzählen als die Männer.
Antonia Rados spricht im Podcast über die Flucht ihres Teams aus Libyen. Diese sei nötig gewesen als sie mit den Wärtern in einem Flüchtlingslager für Frauen über die dortigen schrecklichen Verhältnisse in einen Streit geraten ist: „Da gibt’s eben zwei Lager, wo auch die Frauen sind. Wir sind dort hingegangen und das war noch hundertmal schlimmer als das der Männer.“
Wie erhält man Zutritt in ein libysches Flüchtlingslager? Antonia Rados erklärt detailliert, wie sie eine Reportage vorbereitet. Vom Buchen der Flugtickets bis zum Engagement der Übersetzerinnen und der sogenannten Fixer vor Ort. Das sind die persönlichen Kontakte, die sich im jeweiligen Gebiet auskennen und vor allem die lokalen „Softskills“ beherrschen. Die Fixer arbeiten für die unterschiedlichsten Medien und die Journalistinnen empfehlen sich die besten Kontaktpersonen untereinander: „Das sind so Preise in Kriegsgebieten, die man immer dann versucht auszuverhandeln, von $100 bis zu $300 am Tag. Und das ist natürlich sehr viel Geld für die Leute vor Ort.“
Das sei für beide Seiten mit einem Risiko verbunden. Im Podcast erzählt Antonia Rados, warum ihr ehemaliger Fixer im Jemen ins Gefängnis gesteckt wurde und wie sie ihn wieder freibekommen hat. Die Gefahren vor Ort seien vielfältig. Begonnen bei US-Bombenangriffen über unorganisierte Kriegsführung von Milizen bis hin zu Viren und Entführungen sei alles möglich: „Wir reden immer über die Entführung von Journalisten aber sehr viele Einheimische werden auch entführt.“
Antonia Rados spricht aber keineswegs nur von der Ungerechtigkeit und Gefährlichkeit, die sie während ihrer Reportagen bezeugt. In vielen Ländern sei sie von den Menschen mit großen Gesten der Gastfreundschaft aufgenommen worden: „Ich weiß nicht, wie oft ich schon bei den Familien von Übersetzern oder Fahrern übernachtet habe und mich oft auch gefragt habe: ‚Wäre das denn so, wenn ein afghanisches Fernsehteam bei uns in Deutschland oder Europa auftaucht?'“
Wer bestimmt die Krise, über die berichtet wird?
Bei der Auswahl von lokalen und internationale Krisen stünden kommerzielle Interessen immer hinter dem journalistischen Aspekt einer Reportage. Ab wann genau der journalistische Gehalt einer Krise steige, habe auch mit dem Verhalten des amerikanischen Präsidenten zu tun. Antonia Rados macht klar, dass es nicht nur um Krieg, sondern um politische und gesellschaftliche Entwicklungen im Allgemeinen ginge.
Außerdem räumt Antonia Rados mit dem Vorurteil auf, dass ein gewisses Standing, wie sie es sicherlich hat, dazu führt, dass man von jeder Chefredakteurin grünes Licht für die Wunschreportage bekommen würde. Das sei nicht so.
Antonia Rados hat in ihrer Karriere sowohl für die Öffentlich-Rechtlichen als auch für die Privaten berichtet und sieht keinen Unterschied in der journalistischen Qualität der Rundfunkanstalten: „Ich habe auch bei den Öffentlich-Rechtlichen journalistisch nicht saubere Sachen gefunden und finde dann auch wieder bei den Privaten nicht saubere Sachen. Aber so ist das eben.“
„Es gibt keinen einzigen Sender dieser Welt, der einen zwingt in Kriegsgebiete zu fahren. Diese Verantwortung will einfach niemand übernehmen.“
Antonia Rados
Jungen Journalisten würde sie heute raten chinesisch zu lernen. Außerdem sollte man sich in seiner Berichterstattung immer wieder selbst hinterfragen: „Wichtiger denn je, dass Sie gegen sich selbst denken.“
Wie sich Kriegspropaganda verändert
Heute würde Antonia Rados nicht mehr wissen, welche Interessengruppe die vor ihr liegende Straßensperre überhaupt kontrolliert: „Es ist um vieles chaotischer geworden. Das heißt, Kriege vor 30 Jahren haben noch relativ geordnet mit Fronten stattgefunden. […] Das gibt’s kaum mehr.“
Einen klaren Vorwurf richtet Antonia an das Militär des sogenannten Westens: Dieses hätte das Ziel Wahrheiten zu verschleiern und Journalistinnen zu verwirren. Mit PR-Agenturen würden Pseudonachrichten und -realitäten erschaffen werden, um eine Illusion vom „sauberen Krieg“ zu propagieren. Antonia Rados erklärt, welche Rolle Social Media in der Kriegspropaganda spielt und warum sie nicht auf den jeweiligen Plattformen vertreten ist: „Wenn ich im Jemen bin, habe ich nicht die Zeit zu twittern.“
„Man merkt wirklich, dass da ganz geübte PR-Agenturen dahinterstecken. Und zwar mehr und mehr. [Um] Journalismus abzuhalten von irgendwelchen Realitäten und dafür aber Pseudorealitäten zu kreieren.“
Antonia Rados
Den Podcast schließt Antonia Rados mit einem Aufruf an die Frauen ab: „Wenn ich der nächsten Generation [Frauen] etwas mitgeben darf, dann einfach: Geht euren Weg!“. Zudem appelliert sie an ihre eigene Generation sich endlich in die zweite Reihe zurückzuziehen, um Platz für neue Gesichter zu machen.
Zitate:
00:01:53 „Reporterin. […] Jeder weiß, was das ist. Ich würde das aber umschreiben – so habe ich immer mein Berufsbild verstanden – als Augenzeugin. Und das ist, glaube ich, heute besonders wichtig.“
00:02:56 „Ich glaube nicht, dass es so etwas wie eine Kriegsreporterin gibt. Kriegsreportagen sind für mich die Fortsetzung von politischen Reportagen. Überall findet Politik statt, auch im Krieg.“
00:06:08 „Es gibt keinen einzigen Sender dieser Welt, der einen zwingt in Kriegsgebiete zu fahren. Diese Verantwortung will einfach niemand übernehmen.“
00:10:48 „Das [Korrespondentin in Washington] war ein Traumjob, der damals – also ich hab’s jedenfalls nicht geschafft, andere Frauen auch nicht – sehr stark männerbesetzt war.“
00:12:18 „Eine Frau muss sehr, sehr viel arbeiten, um eben diese Seilschaften wettzumachen.“
00:15:38 „Da gibt’s eben zwei Lager, wo auch die Frauen sind. Wir sind dort hingegangen und das war noch hundertmal schlimmer als das der Männer.“
00:17:08 „Wo man aber als Reporter dann auch dort sagt: ‚Also, macht das überhaupt Sinn Reporter zu sein, wenn man sowieso kaum was bewegt?“
00:22:08 „Das sind so Preise in Kriegsgebieten, die man immer dann versucht auszuverhandeln, von $100 bis zu $300 am Tag. Und das ist natürlich sehr viel Geld für die Leute vor Ort.“
00:27:58 „Wir reden immer über die Entführung von Journalisten aber sehr viele Einheimische werden auch entführt.“
00:28:58 „Ich hatte 1986 eine Viruserkrankung, die ich in Somalia bekommen hatte, und war ein Jahr lang krank.“
00:31:18 „Ich weiß nicht, wie oft ich schon bei den Familien von Übersetzern oder Fahrern übernachtet habe und mich oft auch gefragt habe: ‚Wäre das denn so, wenn ein afghanisches Fernsehteam bei uns in Deutschland oder Europa auftaucht?'“
00:38:58 „Ich habe auch bei den Öffentlich-Rechtlichen journalistisch nicht saubere Sachen gefunden und finde dann auch wieder bei den Privaten nicht saubere Sachen. Aber so ist das eben.“
00:42:32 „Daher sieht man eben, wie wird sich das auch in Afghanistan auswirken. Ich finde das sehr interessant: ‚Was ist da jetzt eigentlich los, wenn da alle abziehen?'“
00:46:08 „Wichtiger denn je, dass Sie gegen sich selbst denken.“
00:50:05 „Es ist um vieles chaotischer geworden. Das heißt, Kriege vor 30 Jahren haben noch relativ geordnet mit Fronten stattgefunden. […] Das gibt’s kaum mehr.“
00:52:23 „Man merkt wirklich, dass da ganz geübte PR-Agenturen dahinterstecken. Und zwar mehr und mehr. [Um] Journalismus abzuhalten von irgendwelchen Realitäten und dafür aber Pseudorealitäten zu kreieren.“
00:56:58 „Wenn ich im Jemen bin, habe ich nicht die Zeit zu twittern.“
01:03:43 „Wenn ich der nächsten Generation [Frauen] etwas mitgeben darf, dann einfach: Geht euren Weg!“