„Ein Herzstillstand ist keine Todesursache. Am Ende steht jedes Herz still. Auch die Person, die einen Kopfschuss erleidet, hat am Ende ein stillstehendes Herz.“
Prof. Dr. Benjamin Ondruschka
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Prof. Dr. Benjamin Ondruschka über unentdeckte Morde, die Zusammenarbeit mit der Polizei und die Erkenntnisse aus der Obduktion des Schriftstellers Karl May
Michael besucht das Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf. Am Mikrofon ist in dieser Folge des MachtWas!?!-Podcasts der Rechtsmediziner Prof. Dr. Benjamin Ondruschka. Im Podcast geht es um das große interdisziplinäre Feld der Rechtsmedizin und Benjamin Ondruschka macht klar, warum sein Beruf nicht so ist, wie er von den Medien häufig dargestellt wird.
Außerdem im MachtWas!?!-Podcast:
- An oder mit Corona gestorben: Benjamin Ondruschka hat eindeutige Zahlen.
- Gefühlte Wahrheiten: Wie mutmaßliche Täterinnen sich wahrnehmen.
- Nicht jeder Befund ist korrekt: Wie man unvoreingenommen an einen Tatort geht.
- Die Wissenschaft in der öffentlichen Wahrnehmung: Warum wissenschaftliche Ergebnisse in den Medien häufig falsch verstanden werden.
- Dunkelziffer: Wie viele Morde bleiben in Deutschland unentdeckt?
- Ist gesellschaftlicher Wandel auf dem Obduktionstisch sichtbar?
Rechtsmedizin: Mehr als eine Ärztin mit Leichen im Krankenhauskeller
Benjamin Ondruschka erklärt, dass in der Rechtsmedizin nicht nur Mediziner, sondern auch Pharmazeuten, Biologinnen und Chemikerinnen beschäftigt sind. Dazu kommen noch weitere Fachbereiche. Beispielsweise die forensische Radiologie, in der mittels Ultraschall Hämatome („blaue Flecken“) ganz genau untersucht werden können.
Mindestens die Hälfte der Zeit beschäftigt sich die Rechtsmedizin mit lebenden Personen. Im Podcast spricht Benjamin Ondruschka über die Schicksale, die hinter diesen Fällen stehen.
„In der Tat ist das, was die Allgemeinheit von der Fachrechtsmedizin glaubt zu wissen, sehr mediengeprägt. Und in den Medien kommen natürlich besonders positive, besonders spannende, auch besonders glorreiche Anteile des Fachbereichs zu tragen. Das hat relativ wenig gemein mit dem, was wir als Rechtsmediziner wirklich tun.“
Prof. Dr. Benjamin Ondruschka
Was kann die Rechtsmedizin über eine Pandemie sagen?
Seit einem Jahr beschäftigt sich die Rechtsmedizin nicht nur mit den direkten Opfern der Coronapandemie. Benjamin Ondruschka sagt, dass die Anzahl der Untersuchungen zu häuslicher Gewalt sich 2020 nicht von denen anderer Jahre unterschieden habe. Er hebt jedoch hervor, dass das nur die Spitze des Eisbergs ist. Viele Gründe weisen darauf hin, dass die Dunkelziffer deutlich höher liegt.
„Diese soziale Kontrolle, die uns die Untersuchungen sonst erst zubringt. Die Horterzieherinnen, die Kindergärtnerinnen, der Jugendclub und dergleichen. Das sind ja alles ‚Kontrollinstanzen‘, die im Rahmen eines Lockdowns gar nicht greifen.“
Prof. Dr. Benjamin Ondruschka
Benjamin Ondruschka erklärt, wie sich die Zahl der Corona-Toten zusammensetzt. Aus denen, die mit und denen, die an Covid-19 gestorben sind. Der Anteil derjenigen, die an Corona sterben liege zwischen 80% und 95%. „Weltweit hat keiner […] so viele Corona-Tote obduziert wie das UKE in Hamburg. Stand unseres Wissens stirbt der größte Teil an Corona.“
Puzzeln und objektiv bleiben: Die Aufgaben der Rechtsmedizin
Sobald eine Ärztin keine natürliche Todesursache feststellen kann, wird die Rechtsmedizin beauftragt. Benjamin Ondruschka hebt erneut hervor, dass man sich nicht nur mit den Toten beschäftigt. Aufträge kommen nicht nur von der Polizei, sondern auch vom Jugendamt oder Kinderärzten. Im Podcast erklärt Benjamin Ondruschka, wie wichtig es ist zwischen der medizinischen und der juristischen Definition von Verletzungen zu unterscheiden.
Mit juristischer Bewertung habe seine Arbeit nichts zu tun. „Insofern würde ich mit Sicherheit sagen, dass unsere Untersuchungsergebnisse richtig sind. Richtig im Sinne der objektiven Wahrheit. Ob sie juristisch immer richtig verstanden oder gewertet werden ist eine andere Ebene.“
„Ich erkläre unseren Medizinstudenten hier immer, dass diese Notiz: ‚Multiple Hämatome am ganzen Körper.‘, […] für eine juristische Verurteilung eben nicht ausreicht.“
Prof. Dr. Benjamin Ondruschka
Was man von hundert Jahre alten Leichen lernen kann
Ungefähr 4000 Leichname erreicht das Institut am UKE pro Jahr. Aber nicht nur im Klinikum, sondern auch am Tatort arbeitet das Team von Benjamin Ondruschka. Diese Arbeit findet manchmal wenige Stunden nach der eigentlichen Tat statt, was auch entscheidend sein kann. „Zeit ist nicht der Freund des Rechtsmediziners.“
Manchmal schaut man aber auch mehrere Jahrzehnte zurück. Im Podcast erzählt Benjamin Ondruschka von Karl Mays Exhumierung, die gut hundert Jahre nach seinem Tod stattfand. Wer wissen möchte, was Benjamin Ondruschka hier herausfinden sollte und warum die Todesursache „Herzparalyse“ verdächtig ist, hört den Podcast.
Zitate:
00:03:57 „In der Tat ist das, was die Allgemeinheit von der Fachrechtsmedizin glaubt zu wissen, sehr mediengeprägt. Und in den Medien kommen natürlich besonders positive, besonders spannende, auch besonders glorreiche Anteile des Fachbereichs zu tragen. Das hat relativ wenig gemein mit dem, was wir als Rechtsmediziner wirklich tun.“
00:08:05 „Das ist tatsächlich eine Maxime des Fachs: Durch die Untersuchung der Toten für die Lebenden zu lernen.“
00:11:07 „Mein Team untersucht jeden Tag entsprechende Fragestellungen auch an Lebenden.“
00:13:00 „Diese soziale Kontrolle, die uns die Untersuchungen sonst erst zubringt. Die Horterzieherinnen, die Kindergärtnerinnen, der Jugendclub und dergleichen. Das sind ja alles ‚Kontrollinstanzen‘, die im Rahmen eines Lockdowns gar nicht greifen.“
00:17:05 „Aber es ist schwierig, wissenschaftlich valide Ergebnisse, die sehr, sehr komplizierten statistischen Modellen unterliegen, so trivial zu erklären, dass das nicht falsch verstanden werden kann. Und das erleben wir gefühlt wöchentlich.“
00:20:53 „Weltweit hat keiner […] so viele Corona-Tote obduziert wie das UKE in Hamburg. Stand unseres Wissens stirbt der größte Teil an Corona.“
00:31:11 „In der Regel ist es so, dass diejenigen, die auf der Anklagebank sitzen zunächst sich im Unrecht auf der Anklagebank fühlen. Weil sich in ihrer Erinnerung ein Tatgeschehen ganz anders abgespielt hat.“
00:35:05 „Ich erkläre unseren Medizinstudenten hier immer, dass diese Notiz: ‚Multiple Hämatome am ganzen Körper.‘, […] für eine juristische Verurteilung eben nicht ausreicht.“
00:43:54 „Zeit ist nicht der Freund des Rechtsmediziners.“
00:44:31 „Die längste Exhumierung […], die ich begleitet habe war nach mehr als hundert Jahren, die Gebeine von Karl May.“
00:47:53 „Eine Beeinflussung durch Polizeibeamte habe ich in meiner Praxis als Rechtsmediziner genau Null mal erlebt.“
00:55:23 „Diese Schlussfolgerung, was das für eine juristische Würdigung bedeutet […], ist nicht die Schlussfolgerung des Rechtsmediziners. Das ist genau die Grenze.“
00:58:09 „Insofern würde ich mit Sicherheit sagen, dass unsere Untersuchungsergebnisse richtig sind. Richtig im Sinne der objektiven Wahrheit. Ob sie juristisch immer richtig verstanden oder gewertet werden ist eine andere Ebene.“
01:12:20 „Ein Herzstillstand ist keine Todesursache. Am Ende steht jedes Herz still. Auch die Person, die einen Kopfschuss erleidet, hat am Ende ein stillstehendes Herz.“