„Ich gehe auf jeden Fall davon aus, dass dieser Krieg über den Winter dauert. Und als einen frühesten Zeitpunkt für einen Waffenstillstand würde ich die nächste Frühjahrsrotationsperiode sehen – also März/ April 2023.“
Gustav Gressel
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Gustav Gressel und seine militärische Analyse des Russland- Ukraine-Krieges
Militärexperte Gustav Gressel ist studierter Politikwissenschaftler und beim Thinktank „European Council on Foreign Relations“ aktiv. Er publiziert unter anderem für die Konrad-Adenauer Stiftung sowie das Zentrum Liberale Moderne. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ist seine Expertise auch vermehrt in den öffentlich-rechtlichen Medien gefragt. In dieser MachtWas!?!-Folge spricht er über die bisherigen Entwicklungen im Russland-Ukraine-Krieg und wie es seiner Ansicht nach weitergeht. Gressel erläutert außerdem wie es um das militärische Kräfteverhältnis der beiden Länder steht und welche Verluste bisher verkraftet werden mussten.
- 00:02:41: Vorstellung unseres Gastes
- 00:08:36: Einschätzung zur aktuellen Lage in der Ukraine
- 00:24:31: Besondere Entwicklungen im Kriegsgeschehen
- 00:31:03: Russlands Intention eines Vernichtungskrieges
- 00:38:06: Ziele auf der ukrainischen Seite
- 00:47:12: Rolle der einzelnen Waffengattungen
- 00:58:28: Wichtigkeit von Hochtechnologie
- 01:01:14: Geschäft des Waffenhandels
- 01:06:54: Verluste der beiden Länder
- 01:18:18: Psychologische Auswirkungen von Befehlsgebern
- 01:24:29: Militärische Auseinandersetzung in Taiwan
Aktuelle militärische Lage
„Die numerische Stärke ist nicht immer das, was dann auch im Krieg zum Einsatz gebracht werden kann.“
Gustav Gressel
Auf den ersten Blick wirkt das russische Militär machtvoller als das ukrainische. Trotzdem halten sich die Parteien laut unserem Experten derzeit die Balance (Stand der Podcastaufnahme: Anfang August). Gustav Gressel erklärt, dass Russland zwar ein größeres militärisches Personal hat, aber nicht alle Soldaten in der Ukraine einsetzen kann. Putin wolle den Krieg außerdem aus der russischen Öffentlichkeit fern halten, weshalb er nur auf freiwillige Berufssoldaten angewiesen ist. Die ukrainische Armee hingegen wächst durch die Generalmobilmachung numerisch stark an, erläutert unser Gast. Die Dichte an schweren Waffen sei jedoch wiederum auf der russischen Seite höher. Im Podcast nennt Gressel weitere Indikatoren, die die militärische Situation beeinflussen und dazu führen, dass kein klares Kräfteverhältnis erkennbar ist.
Europäisches Eigeninteresse an Putins Scheitern
Im Podcast geht es außerdem darum, wann ein Ende des Kriegs in Sicht ist, wie so ein Ende aussehen könnte und warum es vor allem für Europa vorteilhaft wäre, wenn eine deutliche Niederlage Putins herbeigeführt wird. Gressel meint, dass ein Waffenstillstand frühestens im März oder April 2023 ansteht. Womöglich könnte es sich dabei aber nur um einen Erschöpfungswaffenstillstand handeln, der keinen Frieden herstellt, sondern den Krieg nur auf unbestimmte Zeit einfriert. Für wie hoch unser Gast das Atomwaffeneinsatzrisiko hält und welche deutschen Parteien seiner Meinung nach auf einen russischen Siegfrieden hoffen, hört ihr in der Podcastfolge.
Rolle der USA
„Freilich ist der Topf an Geräten, aus dem man in den USA schöpfen kann, um die Ukraine auch zu beliefern ein anderer und ein größerer. Deshalb sind Halbmaßnahmen aus Washington im Vergleich zu Halbmaßnahmen aus Europa immer noch ein Segen.“
Gustav Gressel
Aus diesem Zitat von Gressel geht hervor, dass die militärische Unterstützung der USA für die Ukraine deutlich wirkungsmächtiger ist als die Unterstützung seitens Europa. Er sagt, dass wir in der NATO insgesamt nicht darauf eingestellt sind, einen wirklich industriellen Krieg gegen eine andere Industrienation zu führen. Deshalb seien wir auch rüstungstechnisch nicht ausreichend aufgestellt. Michael fragt weiterhin nach der Wichtigkeit von Hochtechnologie und anschließend geht es um das Geschäft des Waffenhandels und um den Nachrüstungsbedarf in Europa.
Verluste im Russland-Ukraine-Krieg
Für die verlorenen Menschenleben im Krieg in der Ukraine gibt es bisher nur Mutmaßungen. Laut Gressel sind die russischen Zahlen erlogen und die Ukraine schweigt zu ihren eigenen. Zum Zeitpunkt der Podcastaufnahme Anfang August 2020 schätzt unser Gast, dass die Ukraine bis dato mindestens 15.000 Soldaten verloren hat und Russland mindestens 30.000. Die Zahl der Schwerverwundeten könne auf beiden Seiten etwa 60.000 betragen. Dass auf der russischen Seite mehr Schwerverwundete sterben würden, läge nach Gressel an dem schlechteren Sanitätswesen. Abschließend dreht sich das Gespräch kurz um eine mögliche militärische Auseinandersetzung in Taiwan. Michael stellt dann die Frage, wie sich die hohe Verantwortung bei militärischen Entscheidungsträgern wohl auswirkt.
Zitate:
00:16:51: „Amateurhaftigkeit und schwere Fehler waren aber auch ein Teil des Scheiterns dieses Angriffs.“
00:17:02: „Die numerische Stärke ist nicht immer das, was dann auch im Krieg zum Einsatz gebracht werden kann.“
00:18:08: „Putin will diesen Krieg von der russischen Öffentlichkeit soweit wie möglich fern halten und will ihn eben nur mit freiwilligen Berufssoldaten – mit sozusagen Leuten, die politisch auch loyal sind, […] führen.“
00:19:30: „Das reale Kräfteverhältnis ist im Krieg anders – also zur Zeit stehen mehr ukrainische Soldaten unter Waffen im Krieg als russische.“
00:25:10: „In jedem Krieg passieren Dinge, die man so nicht vorhersieht.“
00:25:52: „Die russische Armee hat sich am Anfang zersplittert und hat versucht zu viele Ziele mit zu wenig Kräften zu erreichen.“
00:27:02: „Das Endkriegsziel, die Ukraine als Ganzes zu besetzen und zu annektieren, ist leider immer noch das selbe, man wählt jetzt nur einen Weg, der deutlich länger und deutlich blutiger ist als der ursprünglich gedachte Plan.“
00:39:08: „Ich gehe auf jeden Fall davon aus, dass dieser Krieg über den Winter dauert und als einen frühesten Zeitpunkt für einen Waffenstillstand würde ich die nächste Frühjahrsrotationsperiode sehen – also März/ April 2023.“
00:44:33: „Waffenstillstand, der nur ein Waffenstillstand auf Zeit ist und den Krieg nur einfriert und nicht beendet, ist eigentlich keine zufriedenstellende Lösung.“
00:45:39: „Das Atomwaffeneinsatzrisiko wird meiner Ansicht nach im Westen grob überschätzt, es ist relativ gering.“
00:53:33: „Freilich ist der Topf an Geräten, aus dem man in den USA schöpfen kann, um die Ukraine auch zu beliefern ein anderer und ein größerer, deshalb sind Halbmaßnahmen aus Washington im Vergleich zu Halbmaßnahmen aus Europa immer noch ein Segen.“
00:59:56: „Wir sind alle nicht darauf eingestellt in der NATO einen wirklich industriellen Krieg zu führen gegen eine andere Industrienation.“
01:08:43: „Die Wirtschaftsleistung der Ukraine hat sich in etwa halbiert in den letzten fünf Monaten.“
01:10:49: „Nach russischen Zahlen hätte Russland die ukrainische Luftwache schon dreimal besiegt.“
01:12:10 „Man muss davon ausgehen, dass die Ukraine mindestens 15000 Soldaten bis jetzt verloren hat.“
01:15:38: „Die Ukrainischen kämpfen natürlich motivierter, weil sie für ihr eigenes Land kämpfen und fürs Überleben, während die Russen sozusagen für ein imperiales Ziel oder ein Statusziel kämpfen.“