„Da haben die Tech-Konzerne große Schuld auf sich geladen. Sie haben Nazis zu Popstars gemacht.“
Richard Gutjahr spricht über Plattformen, Journalismus und Verantwortung
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Journalist, Medienunternehmer und (vielleicht) erster iPad-Besitzer der Welt: Richard Gutjahr ist in der zweiten Folge vom MachtWas!?!-Podcast zu Gast. Michael spricht mit seinem Gast über die Macht von digitalen Konzernen, wann und warum die Lizenz zum Zeitungdrucken eine sprichwörtliche Lizenz zum Gelddrucken war und warum jede und jeder einzelne soziale Verantwortung im Internet übernehmen muss.
Journalismus zwischen Mitnahmementalität und Beliebtheitsskalen
Im Podcast spricht Michael aus eigener Erfahrung von JournalistInnen, für die es selbstverständlich war, dass man für Konzerte kein Ticket kaufen muss. Richard Gutjahr erklärt, wie sich die Wahrnehmung von Journalisten in der Öffentlichkeit verändert hat: „Journalisten rangierten auch früher auf Beliebtheitsskalen irgendwo zwischen Politikern und Gebrauchtwagenhändlern. Aber das ist nicht besser geworden seit den letzten zehn Jahren. Stichwort: Lügenpresse.“
Richard Gutjahr arbeitet unter anderem auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und ist froh, dass es diesen in Deutschland gibt. Warum das so ist und welche Unterschiede er zwischen Rundfunkhäusern, wie der ARD und dem ZDF, und den amerikanischen Fernsehsendern FOX, CNN und MSNBC sieht, beschreibt er im Podcast.
„Natürlich ist Facebook ein fucking Medienunternehmen.“
Richard Gutjahr findet es falsch, digitale Plattformen wie Facebook nur als soziale Netzwerke zu betrachten. Im Podcast erklärt er, warum Facebook für ihn am Ende viel mehr mit dem klassischen Verlagsgeschäft zu tun hat.
Viele Menschen verstünden nicht, was für eine Macht hinter Unternehmen wie Google und Facebook stehe und dass diese Unternehmen beispielsweise auch Geld mit den Ovulationsdaten von Millionen von Frauen oder dem „Targeting“ von antisemitischen Single-Männern verdient haben. Alle Aktivitäten dienen dem Zweck, die Ausspielung personalisierter Werbung zu einem möglichst hohen Preis zu verkaufen.
Richard Gutjahr ist der Meinung, dass Facebook sich wegen der eigenen finanziellen Stärke jederzeit über Gesetze hinwegsetzen kann. Er erläutert am Beispiel der kritischen Verbindung von WhatsApp- und Facebook-Daten und dem Cambridge-Analytica-Skandal, dass dies auch geschieht: „Die Ansage von Facebook mit dieser Zahlung war: Der doppelte ausgereckte Mittelfinger! Wenn uns eure Gesetze nicht gefallen, dann scheißen wir euch zu mit unserem Geld. Ihr würdet euch einen Gerichtsprozess gegen uns eh nie leisten können.“
Außerdem sprechen Richard Gutjahr und Michael darüber, was Facebook auch an Positivem geleistet hat und warum Mark Zuckerberg mächtiger ist als alle Medienunternehmen der Welt zusammen.
Zivilcourage auf Twitter
Richard Gutjahr bezweifelt, dass Google und Facebook jemals wollten, dass man über ihre Plattformen Wahlen manipuliert. Er wirft den Unternehmen aber vor, undemokratischen Kräften durch Nichtstun freies Feld gelassen zu haben. Wie Akteure wie Trump oder die AfD das auszunutzen, erklärt er im Podcast.
Die Verantwortung läge aber nicht nur bei den Tech-Konzernen und der Politik, sondern auch beim Individuum:
„Jeder einzelne von uns hat eine Verantwortung übernommen, wenn er so ein Smartphone besitzt, die den wenigsten von uns klargeworden ist. […] Es reicht ja auch schon, wenn du manchmal Dinge auch nicht machst.“
Ein verbaler Angriff auf Twitter sei genauso schlimm wie ein verbaler Angriff auf der Straße. Auch als unbeteiligte Person müsse man in beiden Fällen aktiv werden und den Opfern dieser Angriffe in unterschiedlicher Form zur Hilfe sein.
Wer schließt schneller ein Abo ab: Die Netflix- oder die SZ-Abonnentin?
„Die Lizenz eine Zeitung in Nachkriegsdeutschland auf den Markt bringen zu dürfen, war eine Lizenz zum Gelddrucken. Und jeder, der etwas anderes behauptet lügt. Und das ist jetzt vorbei.“
sagt Richard Gutjahr.
Er erklärt im Podcast wie diese Mentalität einer der Gründe dafür ist, dass die deutschen Medienhäuser die digitale Transformation erst verschlafen haben und jetzt immer noch versuchen, den Zug einzuholen. Im Podcast erklärt Richard Gutjahr, was der Star-Bucks-Test ist und warum man daran gut erkennen könne, dass der Zug nicht mehr eingeholt wird.
Corona und die digitale Schutzmaske
Auch das momentane „Corona-Hoch“ der öffentlichen-rechtlichen würde an dieser Abgeschlagenheit nichts ändern. Richard Gutjahr macht sich Sorgen um die Rezeption vom Qualitätsjournalismus, sollte es in Deutschland zu einer wirtschaftlichen Rezession oder gar Depression kommen.
Zum Schluss sprechen Richard und Michael darüber, wie vielen gerade die Bedeutung eines bekannten Begriffs deutlich wird: „viral“. Außerdem geht es um die Gemeinsamkeiten von Viren und Tweets.
Zitate:
2:00 „Wir Journalisten sind ja ganz schön geteert und gefedert worden.“
2:25 „Journalisten rangierten auch früher auf Beliebtheitsskalen irgendwo zwischen Politikern und Gebrauchtwagenhändlern. Aber das ist nicht besser geworden seit den letzten zehn Jahren; Stichwort Lügenpresse.“
9:10 „Medienhäuser werden immer mehr zu Warenhäusern.“
10:35 „Natürlich ist facebook ein fucking Medienunternehmen.“
21:10 „Wer sagt denn, dass die Massenmedien überhaupt überleben müssen? […] Hat das Prinzip Massenmedium nicht grundsätzlich ausgedient?“
22:00 „Es hat ja einen Grund, dass es kein Wetten dass.. mehr gibt.“
23:30 „Wer sagt denn, dass wir einen Tatort brauchen? Wer sagt denn, dass die Bundesliga nur auf Sat1 oder in der ARD läuft?“
31:45 „Die Lizenz eine Zeitung in Nachkriegsdeutschland auf den Markt bringen zu dürfen, war eine Lizenz zum Gelddrucken. Und jeder, der etwas anderes behauptet, lügt. Und das ist jetzt vorbei.“
41:30 „Die Ansage von facebook mit dieser Zahlung war, der doppelte ausgereckte Mittelfinger. Wenn uns eure Gesetze nicht gefallen, dann scheißen wir euch zu mit unserem Geld. Ihr würdet euch einen Gerichtsprozess gegen uns eh nie leisten können, weil der würde über Jahre, wenn nicht gar über Jahrzehnte gehen.“
42:20 „Die besten Juristen, die du für Geld kaufen kannst sitzen heute bei Facebook, Google, Apple und Amazon.“
47:40 „Viele der besten Journalisten mit denen ich großgeworden bin arbeiten heute für Facebook oder sind zu Google gegangen.“ (Die machen da PR und bringen Erfahrungswissen mit)
50:20 „Wenn sich alle Medienunternehmen der Welt zusammentäten, hätten die immer noch nicht die Medienmacht wie Mark Zuckerberg als Einzelperson, ohne Kontrollgremium.“
1:02:20 „Ein Journalist kann nicht nicht berichten. Es ist keine Option für einen Journalisten einen Tweet des Präsidenten der Vereinigten Staaten zu ignorieren. Das geht einfach nicht.“
1:09:00 „Ich bin öffentlich-rechtlich und ein klassischer Journalist bis in die letzte Zelle meines Körpers.“
1:12:30 „Da haben die Tech-Konzerne große Schuld auf sich geladen. Sie haben Nazis zu Popstars gemacht.“
1:15:10 „Mit einem Tweet kann ich ein Menschenleben zerstören.“
1:18:20 „Jeder einzelne von uns hat eine Verantwortung, wenn er so ein Smartphone besitzt, übernommen, die den wenigsten von uns klargeworden ist. […] Es reicht ja auch schon, wenn du manchmal Dinge auch nicht machst.“